EÜK : Straelen

Sabine Baumann

Dankrede

 

Sehr geehrte Frau Wyrwoll,
lieber Helmut Frielinghaus, liebe Mitglieder der Jury,
sehr geehrter Herr Sprick,
sehr geehrter Herr Bürgermeister Langemeyer,
lieber Hermann Wallmann,
sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freunde,die Jury hat für den Übersetzerpreis der Kunststiftung NRW in diesem Jahr eine mutige Entscheidung getroffen, und dafür bin ich ihren Mitgliedern zutiefst dankbar. Sie hat diesmal ein in nahezu jeder Hinsicht schwer einzuordnendes „Doppelmonster“ ausgezeichnet. So nannte es wenigstens einmal der Literaturkritiker Felix Philipp Ingold in der Neuen Zürcher Zeitung und spielte damit auf eine Erzählung Vladimir Nabokovs von 1950 über siamesische Zwillinge an mit dem Titel „Szenen aus dem Leben eines Doppelungeheuers“.

Ingold bezog sich vor ziemlich genau zehn Jahren auf das Erscheinen von gleich zwei Ausgaben in Petersburg und in Moskau bei zwei verschiedenen Verlagen, übersetzt von zwei verschiedenen Übersetzerkollektiven des heute für die deutsche Fassung ausgezeichneten Werks. Es ist Nabokovs ehrgeizigstes, umfangreichstes und dasjenige, mit dessen Niederschrift er am längsten befasst war – es ist zugleich sein am wenigsten bekanntes. Und es vereinigt in sich tatsächlich auch zweierlei Genres: Übersetzung und Kommentar, Lyrik und Prosa.

Nabokovs Kommentar zu Puschkins für das russische Bildungsgut bis heute zentralen und so prägenden Onegin ist jedoch, wie Ingold zu Recht betont, nicht einfach Sekundärliteratur, sondern „ein Werk der einfühlenden Imagination“ und, so möchte ich ergänzen, eine einzigartige Hommage des vielleicht größten russischen Romanciers des 20. Jahrhunderts an den größten russischen Dichter des 19. Jahrhunderts. Man kann damit jetzt endlich auch im deutschsprachigen Raum das Werk des Übersetzers und Kulturvermittlers Vladimir Nabokov entdecken, für den die Anmerkung zum integralen Bestandteil seiner Übersetzung geworden ist. Ingold schreibt über Nabokovs Kommentar:

 

„Nicht nur dass man sich über dessen abenteuerliche Etymologien und interpretative Phantasielösungen amüsieren kann, man liest auch mit Gewinn die ebenso weitläufigen wie aufschlussreichen Exkurse zum russischen Ehrenkodex und zur Praxis des Pistolenduells, zur Nomenklatur und zur gesellschaftlichen Bedeutung des Kartenspiels, zu Reisegewohnheiten und Kleidermode, zu Ess- und Lesegewohnheiten der Puschkinzeit. Versierte Leser werden sich fragen, ob und inwieweit der Onegin-Kommentar seinerseits als ein Zwillingstext zu Nabokovs fast gleichzeitig entstandenem fiktiv-philologischem Roman Pale Fire (1962) gelten kann, mit dessen triadischer Komposition (Vorwort/Poem/Kommentar) er zumindest strukturell weitgehend übereinstimmt. Im deutschen Sprachraum … wäre eine separate Buchausgabe des Kommentars dringend erwünscht; es müsste ja nicht wieder ein ‚Doppelmonster‘ sein.“

 

Ingolds Wunsch wurde zehn Jahre später erfüllt, und es ist sogar doch wieder ein Doppelband geworden, und zwar dank dem Deutschen Übersetzerfonds, dieser für Übersetzer so wichtigen Einrichtung, der mir ein Arbeitsstipendium gewährt hat, dank dem Deutschen Literaturfonds, der die Drucklegung gefördert hat, und dank dem Verleger KD Wolff, der zusammen mit den Mitarbeitern seines Stroemfeld Verlags dieses große Projekt nicht nur gestemmt, sondern sich dafür begeistert und mit langem Atem eingesetzt hat. Ihm und all seinen Mitarbeitern großen Dank für ihre Anstrengungen über viele Monate während des Publikationsprozesses.Ein Doppelmonster oder wenigstens doppelbödig ist das 2009 erschienene und heute ausgezeichnete Werk auch noch in anderer Hinsicht, nämlich der sprachlichen. Puschkins Versroman (entstanden 1823–1830, erschienen 1825–1833) ist auf Russisch verfasst und von mir auch aus dem Russischen neu übersetzt, reflektiert aber, wie Nabokov nicht müde wird zu betonen, Puschkins Bemühungen um Kulturvermittlung, um die Einbindung der russischen Kultur in die europäische, denn Puschkin nimmt zeitgenössische Werke und Moden vor allem durch den Filter des Französischen, die damalige Lingua franca, wahr und gibt sie auch so an seine Leser weiter. Sein Russisch ist voller Gallizismen, und sein Versroman enthält eine Reihe von, wenn auch zum Teil fiktiven, Übersetzungen aus dem Französischen, wie zum Beispiel Tatjanas Liebesbrief an Onegin. Nabokov beschreibt seine Auffassung von Puschkins Vermittlungsleistung so:

„Puschkins Komposition ist zuerst und zuoberst ein Phänomen des Stils, und von dessen blumigem Rand aus habe ich ihren Horizont arkadischer Ländlichkeit, ihr Serpentinenglitzern importierter Bächlein, die in rundem Kristall gefangenen Miniaturstürme und die vielfarbigen, in der schwindenden Ferne verschmelzenden Ebenen literarischer Parodie überblickt. Sie ist kein ‚Portrait russischen Lebens‘ – sie ist bestenfalls das Portrait einer kleinen Gruppe von Russen während des zweiten Jahrzehnts des letzten Jahrhunderts, die mit allen prägnanteren Figuren der westeuropäischen Romantik gekreuzt und in ein stilisiertes Rußland versetzt wurden, das sofort zerfiele, wenn man die französischen Requisiten entfernte und wenn die französischen Darsteller englischer und deutscher Schriftsteller aufhören würden, ihren Russisch sprechenden Helden und Heldinnen zu soufflieren.

Aus der Sicht des Übersetzers ist es paradox, daß das einzige nennenswerte russische Element diese Rede ist, Puschkins Sprache, wogend und blitzend durch in Rußland bisher ungekannte Versmelodien. Das Beste, was ich tun konnte, war, in manchen meiner Kommentare spezielle Kostproben des Originaltextes zu beschreiben. Es ist zu hoffen, daß meine Leser dazu bewegt werden können, Puschkins Sprache zu lernen und Eugen Onegin ohne diese Krücke erneut zu durchwandern.“

In dieser Auffassung kommt das Original selber schon sehr nah an eine Übersetzung heran. Nabokovs für amerikanische Studenten gedachter Kommentar dazu ist auf Englisch verfasst, aber durchsetzt von zahlreichen, ursprünglich russischen, von der Zensur gestrichenen Zeilen, Strophen und Bruchstücken aus Puschkins Versroman sowie Entwürfen oder sonstigen verworfenen Passagen, die sich erhalten haben. Diese hier erstmals überhaupt ins Deutsche übersetzten Varianten ebenso wie die russischen Gedichte aus dem Umkreis von Puschkins Werk von ihm selbst oder anderen russischen Dichtern, erlauben einen einmaligen Blick in Puschkins Werkstatt. Sie mussten natürlich ebenfalls aus dem Russischen übertragen werden, die deutschen und französischen Beispiele konnten zum Glück stehen bleiben.
Aber auch Nabokovs Englisch hat einen für ihn charakteristischen doppelten Boden, denn es speist sich aus seinen Kenntnisse des Russischen und des Französischen, das er – wie auch schon Puschkin – als Kind gelernt hat. In seinem Übersetzungskommentar kann man nachvollziehen, wie er zu seinen fruchtbaren Wortspielen über die Sprachgrenzen hinweg in vielen seiner Romane gekommen ist: In den erwähnten Kostproben erläutert Nabokov an etlichen Stellen den Klang des russischen Originals, seine Assonanzen, Alliterationen, seinen Rhythmus, sein Tempo, Puschkins Spiel mit den Eigenheiten der russischen Sprache. Er gibt dazu das Original in der lateinischen Umschrift wieder und kristallisiert außerdem das Klangmuster der jeweiligen Passage heraus. Daraus wird oft genug etwas beinahe Eigenständiges nach Art lautmalerischer Poesie.

Erlauben Sie mir nachvollziehen, wie es zu Nabokovs und meiner Arbeit kam. Anfang Januar 1944 schrieb Nabokov, damals noch relativ frisch in seinem zweiten Exil in den USA, seinem Freund, dem Schriftsteller und Literaturkritiker Edmund Wilson:
„Lieber Bunny, ich schicke Dir die Socken, die Du mir geliehen hast, und eine Probe meiner Übersetzung von You-gin One-gin. In eine habe ich ein Loch gemacht … Die beigefügte Übersetzung ist die Probe einer neuen Methode, die ich nach einigem wissenschaftlichen Nachdenken herausgefunden habe – und mir scheint, sie ist die richtige, um Onegin zu übersetzen. Es ist nur eine Probe, aber wenn sie Dir zusagt, werde ich weitere Passagen übersetzen – sag mir, welche Du gern hättest.“


Im Mai 1949 kündigte er von der Cornell University aus, wo er die Klassiker der russischen Literatur unterrichtete, er müsse wohl einem Verlag „ein kleines Büchlein über Onegin“ anbieten: „vollständige Übersetzung in Prosa mit Anmerkungen, die für jede Zeile Assoziationen und andere Erklärungen enthalten – in der Art, wie ich sie für meine Seminare vorbereitet habe. Ich bin mir ziemlich sicher, daß ich keine gereimten Übersetzungen mehr mache – ihre Diktatur ist absurd und mit Genauigkeit usw. unvereinbar.“ Angeregt hatte ihn zu dem „Büchlein“ seine Frau Véra, die seine Klagen über die mangelhaften englischen Ausgaben des Klassikers leid war, mit denen er seinen Unterricht zu bestreiten hatte. Sie meinte, er solle die Übersetzung eben selber in Angriff nehmen. Im Januar 1952 wurde es konkreter, denn jetzt schrieb Nabokov an Wilson: „Ich brenne richtiggehend darauf, E.O. mit dem ganzen Drum und Dran und Tausenden von Anmerkungen ins Englische zu bringen.“ Und er war immer noch sicher: „E.O. wird nicht allzuviel Zeit in Anspruch nehmen und kann ganz reibungslos mit anderen Annehmlichkeiten verbunden werden.“ Im Mai des darauffolgenden Jahres berichtete er von einem seiner Ausflüge in den amerikanischen Wilden Westen auf der Jagd nach Schmetterlingen aus Arizona: „In Cambridge tat ich zwei Monate lang (von 9 Uhr morgens bis 2 Uhr morgens) nichts anderes, als an meinen Kommentaren zu E.O. zu arbeiten. Die Bibliotheken von Harvard sind wunderbar. Sogar das Traumbuch, das Tatjana benutzte, um ihren prophetischen Traum zu erklären, habe ich gefunden. Es wird eine Arbeit von ungefähr 600 Seiten werden, einschließlich der (rhythmischen) Übersetzung aller bekannten Zeilen (selbst derjenigen, die er gestrichen hat).“

Fünf Jahre und ein paar Romane später klingt er schon verzweifelter: „Ich bin völlig in meinen Onegin vertieft und muß ihn dieses Jahr zu Ende bringen. Endlich habe ich herausgefunden, wie man Onegin richtig übersetzt. Das ist nun die fünfte oder sechste vollständige Version, die ich gemacht habe. Jetzt zerbreche ich den Text, verbanne alles, was die Ehrlichkeit für verbalen Samt halten könnte, und heiße dafür die unbeholfene Wendung willkommen, die Gräte der mageren Wahrheit.“ Im Februar 1958 war es so weit: „Gerade habe ich meinen Eugen Onegin vollends vollendet: 2500 Seiten Kommentar und eine wörtliche Übersetzung des Textes. Dmitri besorgt das Register.“

1964, nachdem endlich ein Verlag gefunden und weitere Verzögerungen bei der Fahnenkorrektur überwunden waren, lag das kleine Büchlein, das Nabokov rasch zusammenzustellen geglaubt hatte, in vier stattlichen Bänden vor; 1975, zwei Jahre vor seinem Tod, hatte er daraus eine überarbeitete zweibändige Taschenbuchausgabe gemacht, die zur Grundlage unserer (von Dieter E. Zimmer leicht gekürzten) immerhin 294 + 1332 Seiten inklusive Register umfassenden deutschen Ausgabe wurde.

Auch bei mir hat alles mit einem leichtfertigen Brief angefangen. In der Herbstausgabe 1994 des Nabokovian hatte ich auf Seite 38 Dieter E. Zimmers damaligen Plan für die Nabokov-Werkausgabe bei Rowohlt gelesen, in eckigen Klammern war dort als Band 25 mit einem Fragezeichen „Pushkin, Eugene Onegin“ erwähnt. Ich war damals dabei, eine Dissertation über Nabokov zu schreiben, über seine Übersetzungs- und Gedächtniskunst, und hatte, begeistert von Nabokovs Verdiensten um die russischen Klassiker, selber schon darüber nachgedacht, ob seine Werke dazu nicht auf Deutsch erscheinen sollten. So schrieb ich an Dieter E. Zimmer und bot mich ihm als Übersetzerin für den Band 25 an. Nach einer Übersetzungsprobe sagte er mir zu, meine Übersetzerkollegin Christiane Körner wurde als Außenlektorin ins Boot geholt, und damit war der Stein ins Rollen gekommen.


Die eigentliche Übersetzung dauerte grob geschätzt fünf Jahre mit vielen Überarbeitungsgängen und ständiger Anpassung der vielen Querverweise, die Nabokov innerhalb des Romans, innerhalb des Werks und innerhalb der literarischen Tradition sichtbar macht, mit fortwährender Revision der deutschen Entsprechungen für Puschkins „Signalwörter“, wie Nabokov Grundbegriffe der europäischen Klassik und Romantik, gespiegelt in Puschkins eigens dafür erschaffenem, stark französisch geprägten Russisch, nannte.

Ich musste dabei viel recherchieren über die Kultur der damaligen Zeit mit Ballett, Theater, Dandys, Moden, Kutschen, Poststationen, Zensur und Tagespolitik in Russland, mich über Natur, Pflanzenwelt und Jahreszeiten informieren und mir über ganz einfache Gesten („machnul rukoj“ – „er winkte ab“) oder Gefühlsbeschreibungen („oni ssoschlis“ – „sie fanden sich“) den Kopf zerbrechen. Dabei habe ich durch Nabokov viel über den Menschen und Dichter Puschkin mit seinen Lektürevorlieben, schöpferischen Verfahren und literarischen Fehden sowie seine Leidenschaft für Duelle und schöne Frauen, seine Freunde und den abenteuerlichen Weg seines afrikanischen Vorfahren aus dem südlichen Afrika an den Hof Peters des Großen gelernt. Mich hat dabei stets zutiefst berührt mitzuerleben, wie sich der Übersetzer und Kommentator Nabokov mit dieser Arbeit in seiner Erinnerung in seine verlorene Heimat zurückversetzt.


Für die Wiedergabe von Puschkins Werk habe ich mir Nabokovs Übersetzungsmaximen zu Herzen genommen, bin Puschkins Original Zeile für Zeile gefolgt, habe die deutsche Syntax bisweilen strapaziert, auf die Reime verzichtet und sogar den jambischen Rhythmus vermieden, dafür aber mit Hilfe von historischen Nachschlagewerken und Werken deutscher Puschkin-Zeitgenossen um die semantischen Nuancen gerungen, die Nabokov Puschkins vielschichtigem Werk abgelauscht hat. Entstanden ist so eine Art umgestülpter Fassung des Versromans, ein Röntgenbild, das sein Gerüst und seine Machart zeigt und auf ganz neue Weise nachvollziehbar macht. Dies mögen ein paar festliche Strophen aus Puschkins Werk verdeutlichen:

XVI
„Schon ist es dunkel: Er steigt in einen Schlitten.
‚Platz da, platz da!‘ erschallt der Ruf,
vor Froststaub silbert
sein Biberkragen.
Zu ‚Talon‘ ist er gebraust: Er ist gewiß,
dort erwartet ihn bereits [Kawerin].
Kaum tritt er ein, schon fliegt der Korken an die Decke,
der Kometenwein schießt im Strom heraus,
vor ihm ist ein blutiges Roastbeef
und Trüffel – jugendlicher Luxus,
die Blüte der französischen Cuisine –
und unvergängliche Straßburger Pastete
zwischen einem leibhaftigen Limburger Käse
und einer goldenen Ananas.

XVII
Noch ruft der Durst nach mehr Pokalen,
um das heiße Fett der Koteletts fortzuschwemmen,
aber das Läuten der Bréguet vermeldet ihnen,
daß ein neues Ballett begonnen hat.
Des Theaters ungnädiger Gesetzgeber,
der unbeständige Verehrer
bezaubernder Aktricen,
der Ehrenbürger der Kulissen
Onegin flog zum Theater,
wo jeder, von Kritik beseelt,
bereit ist, einem entrechat zu applaudieren,
Phädra, Kleopatra auszupfeifen,
und Moena herauszurufen – allein dafür,
um gehört zu werden.

XX
Das Haus ist bereits voll, die Logen glitzern,
Parterre und Sperrsitz, alles brodelt,
auf dem Olymp klatschen sie ungeduldig,
und schwirrend schwingt der Vorhang sich empor.
Glanzvoll, beinah ätherisch,
dem magischen Bogen gehorchend,
umringt von einer Nymphenschar,
steht da Istómina; sie läßt,
derweil sie mit einem Fuß den Boden berührt,
den anderen langsam kreisen,
und plötzlich ein Sprung, und plötzlich fliegt sie,
fliegt wie Flaum von Äols Lippen,
mal zwirbelt, mal entzwirbelt sie den Leib
und schlägt ein flinkes Füßchen an das andere.

Alles klatscht. Onegin kommt herein,
er geht durch die Reihen, tritt auf die Zehen,
richtet scheel die doppelte Lorgnette
auf die Logen unbekannter Damen;
er hat jeden Rang gemustert,
er hat alles gesehen: Gesichter, Kleidung
machen ihn schrecklich unzufrieden,
mit Männern hat er nach allen Seiten
Grüße gewechselt, dann auf die Bühne
in großer Zerstreutheit flüchtig geblickt,
sich abgewendet und gegähnt
und versetzt: ‚Zeit, alles auszutauschen;
Ballette hab ich lange erduldet,
doch sogar von Didelot hab ich genug.“

Es freut mich besonders, dass wir heute einige Puschkin-Vertonungen, gesungen von dem Bariton Pavel Smirnov, am Klavier begleitet von John Noel Attard, hören können.Nabokov schrieb, er habe stets den Schriftsteller beneidet, der ein Vorwort, wie er es 1963 in Montreux für die vierbändige Ausgabe verfasste, „mit einem glühenden Tribut an Professor Rat, Professor Ermutigung und Professor Erdenkliche-Hilfe beschließt“. Er erinnere sich gerne an die in „wundervollen Bibliotheken von Cornell, Harvard und der Stadt New York angenehm verbrachte(n) Nachmittage“, aber er habe ansonsten nur seiner Frau, seinem Sohn und dem Verlag zu danken.

Auch ich habe viele Stunden in der Bibliothek verbracht – und einsam die Akademie-Ausgabe von Puschkins Werken konsultiert, seine bei Nabokov zitierten Gedichte, Briefe und Varianten studiert und die Gedichte seiner Dichterzeitgenossen ebenfalls nach Nabokovs Maximen teils neu, teils erstmals übersetzt. Diese Bibliothek der Slawistik in Frankfurt am Main gibt es anders als die einzigartige Übersetzerbibliothek hier in Straelen, inzwischen aufgrund von undurchsichtigen Sparmaßnahmen nicht mehr, und das finde ich bestürzend.

Dafür gibt es all diejenigen, die mir geholfen haben und bei denen ich mich gern und sehr herzlich für die langjährige geduldige Unterstützung bedanke: bei meiner Übersetzerkollegin Christiane Körner – die neben russischen Märchen und Erzählungen  Tatjana Tolstajas Roman Kys und den Moskauer Konzeptualisten Dmitri Prigow großartig übersetzt hat - für ihr gründliches Lektorat, ihren Überblick und manche Weichenstellung bei der Auffassung des russischen Textes; bei Julia Afifi für das Zweitlektorat, bei meiner Mutter Ellen Baumann und bei Marion Juhas für die Hilfe bei dem unbedingt monströs zu nennenden Register, bei Doris Kern für die Koordination und letzte Korrekturen im Verlag, bei Mirjam Loch für den überaus komplizierten, anspruchsvollen, wunderbar gelungenen Satz, bei Michel Leiner für die kongeniale Gestaltung.


Die Arbeit, die Sie heute würdigen, hat mir schon zuvor einen Wunsch erfüllt und mich an einen Ort gebracht, der mit Nabokovs Leben und seiner Arbeit über Puschkin in Verbindung steht: Nach Montreux am Genfer See, wo sein Sohn heute noch lebt und wir mit dem Stroemfeld Verlag im Palace Hotel das Buch vorstellen konnten. Dass wir es heute hier, im Europäischen Übersetzer-Kollegium in Straelen, noch einmal präsentieren und dabei an die Aufgabe des Übersetzens erinnern dürfen, ist gerade deshalb so sinnfällig, weil damit Nabokovs unbekannte Seite, dass er ein so unermüdlicher Übersetzer war, ins Licht gerückt wird. Und es passt auch deshalb, weil dieser Übersetzer Nabokov mit seiner jahrzehntelangen Arbeit – an die ich, zählt man die gesamte Entstehungszeit der deutschen Ausgabe, noch ein weiteres Jahrzehnt drangehängt habe – Puschkin und seinen Eugen Onegin als ein eminent europäisches Werk erwiesen und gefeiert hat. Und das, obwohl Puschkin Russland nie verlassen hat und sich Europa nur aus Übersetzungen erträumt hat, während Nabokov selbst Russland nach dem Weggang seiner Familie ins Exil nie wiedersehen durfte und sich mit seinem Kommentar vielleicht auch den Traum von einem anderen Verlauf der russischen als einer europäischen Geschichte erfüllt hat.

 

Der Straelener Übersetzerpreis wird vergeben von der Kunststiftung NRW in Kooperation mit dem EÜK Straelen