EÜK : Straelen

Frank Heibert und Hinrich Schmidt-Henkel

Straelener Übersetzerpreis der Kunststiftung NRW

Dankesrede



Wie schön, dass heute Abend so viele Menschen hier sind, um mit uns zu feiern!Besonders begrüßen möchten wir Dr. Fritz Behrens von der Kunststiftung NRW, die diesen Preis vergibt, und Frau Hildegard Behrens, von der zu hören ist, dass sie ein Fan der Übersetzer sei. Sehr, sehr herzlich sei Dagmar Fretter begrüßt, sie kümmert sich in der Kunststiftung NRW um die Literatur und sehr engagiert um die Übersetzer, die ihr viel verdanken. Einen tief empfundenen Übersetzer-Salut entbieten wir Frau Regina Peeters, der Hausherrin vom Europäischen Übersetzer-Kollegium und zugleich legendäre Bibliothekarin dieser legendären Bibliothek, und Claus Sprick, dem Präsidenten des EÜK. Wir begrüßen Vertreter des Landtags, der Bezirksregierung und der Stadt Straelen - herzlichen Dank, dass Sie uns, diesem Preis und dem EÜK die Ehre Ihrer Anwesenheit geben. Herzlich willkommen seien auch die Mitglieder der Jury, die Kolleginnen und Kollegen und Verlagsfreunde sowie die persönlichen Freunde und Familienangehörigen, die die Reise hierher unternommen haben. Unter den Kollegen begrüßen wir ganz besonders unsern Mitpreisträger Thomas Weiler. Der Suhrkamp Verlag wird durch Sabine Erbrich vertreten, danke, dass Sie hier sind. Wir danken auch der Theaterautorin Rebekka Kricheldorf, die die hohe Kunst der intelligenten Komödie beherrscht, für ihre wunderbare Laudatio und der Pianistin Melissa Jacobsson-Velandia für ihre vielgestaltige, mitreißende Musik.Einer ist heute entschuldigt, wie seine literarischen Spießgesellen von Oulipo, der Werkstatt für potentielle Literatur, es sagen: Raymond Queneau, der Autor der „Stilübungen“, entschuldigt wg. Ablebens.

 

Die Sprache, die wir alle benutzen und mit der wir Übersetzer jeden Tag arbeiten, sie formuliert und sortiert unser Wahrnehmen, sie filtert die Wirklichkeit oder stellt sie überhaupt erst her. Sie ermöglicht, dass wir uns vergewissern und verständigen – oder missverstehen – , dass wir uns mitteilen, dass wir erzählen. Und sie verortet uns in unserer Kultur und unserer Zeit.


Die Literatur, die unsere Autoren schreiben und die wir Übersetzer jeden Tag übertragen, sie ist die künstlerische Umwandlung der Wahrnehmung in Erzähltes. Sie ist die Stimme des Sprachkünstlers, die im Erzählen einen ganz bestimmten Blick auf die Welt eröffnet, eine Haltung deutlich macht. Der literarische Text ist gestaltete Sprache, aus dieser Haltung heraus. Er spricht zu uns Lesern, ergreift uns auf seine jeweilige Weise.

Das gilt für alle Literatur, ob es sich um ein chinesisches Legenden-Epos handelt, um amerikanische Liebesgedichte, eine Satire aus Weißrussland oder einen lebensphilosophischen Familienroman aus Bosnien. Die Leser sollen mit-lachen und -weinen, mitfiebern und -grübeln,  Welten entdecken, sich packen lassen von dem, was Sprache alles kann.


Wenn wir Literatur übersetzen, haben wir jedes Mal den Anspruch, die deutsche Stimme des Autors, der Autorin zu werden – und wir stehen immer vor der Frage, anhand welcher Kriterien wir erkennen, ob uns das gelingt. Jeder Text verlangt uns etwas Anderes ab, und doch bleibt sich etwas gleich: Wir haben beim Lesen des Originals dessen Wirkung gespürt, uns vom ästhetischen Genuss anregen lassen – und dann haben wir untersucht, mit welchen sprachlichen Gestaltungsmitteln die Autorin diese Wirkung erreicht, aus welcher Haltung heraus sie zu genau diesen Mitteln gegriffen hat. Dieser Fährte folgen wir beim Übersetzen: Wir nehmen die Haltung des Originals ein, um die Geschichte zu erzählen, und suchen das für diesen Ton geeignete Deutsch. Literaturübersetzen heißt Schreiben wie der Autor, aber in einer anderen Sprache und mit deren Mitteln. Wenn das gelingt, erzielen wir bei unseren Leserinnen und Lesern die gleiche Wirkung, den gleichen ästhetischen Genuss.
Das lässt sich für die Erzählstimme eines Romans gut nachvollziehen. Wie aber funktioniert das für Raymond Queneaus „Stilübungen“, bei denen man nicht von einer Erzählstimme sprechen kann, eigentlich nicht mal mehr von Erzählen? Spätestens mit der dritten Übung ist ja klar, es geht nicht ums Erzählen, wir wissen ja Bescheid, was da passiert ist im Bus und vorm Bahnhof. Beim Übersetzen der „Stilübungen“ gilt die beschriebene Verfahrensweise genauso, nur unter verschärften Bedingungen, weil sich mit jeder Übung die Gemengelage zwischen Erzählen und Sprachgestaltung verändert. Queneau schreitet ein Spektrum ab, das bei tradierten Formen von Literatur beginnt (von klassischen Gedichtformen bis hin zu Erzählminiaturen in Rollenprosa) und dann bis zur experimentellen Auflösung des Erzählens, ja, der Sprache selbst führt. Die Haltung dieses Werks ist eine Meta-Haltung: Queneau setzt Regeln, für jede Stilübung eine andere, er exerziert sie jeweils konsequent durch, oft bis hin zur Übererfüllung – und zeigt uns damit das potenziell Absurde, Unmenschliche von absoluter Regelbefolgung. Die Regel, die eben knallhart galt, ist in der nächsten Übung durch eine andere ersetzt. Regeln sind also willkürlich und damit anzweifelbar. Wer sich aber über die Macht der Regeln mokiert, mokiert sich zugleich über die politische Macht. Mit dieser augenzwinkernden Subversion schreibt er sich in seinen historisch-politischen Kontext ein: Die ersten Stilübungen sind unter der deutschen Nazi-Besatzung in Frankreich entstanden. Das Spielerische, Übermütige ist nicht nur l’art pour l’art, sondern auch künstlerischer Widerstand. Das Wissen um diese Haltung hat uns bei der Übersetzung jeder einzelnen Übung begleitet, das Vergnügen, auch die deutsche Sprache respektlos bis zum Anschlag zu drehen und zu überdrehen, „streng“ nach der jeweiligen Regel.

 

Dass unser Kollege Thomas Weiler heute mit uns preisgekrönt wird, freut uns besonders – denn wir sehen Berührungspunkte mit seinem übersetzerischen Werk. Ein diebischer Spaß an präzise gestalteter Sprachkunst aus einer gesellschaftskritischen Haltung heraus scheint in eigentlich allen Werken auf, die wir bislang von ihm gelesen haben, ob es Übersetzungen aus dem Weißrussischen oder dem Polnischen waren. Von unserer Seite also einen ganz besonders herzlichen Glückwunsch, lieber Thomas!


Ein literarisches Werk zu übersetzen, eine Stimme für einen Autor zu finden, lässt es wenig naheliegend erscheinen, sich zu zweit an die Arbeit zu machen. Wenn man es doch tut, gibt es viel Gesprächsbedarf, viel Gelegenheit, sich abzustimmen – und voneinander zu lernen. Dass wir für diese Übersetzung aus dem Französischen jetzt und hier in Straelen diesen großartigen Preis bekommen, bedeutet uns sehr viel – auch lebensgeschichtlich. Vor über 21 Jah-ren waren wir nämlich gemeinsam hier und haben einen französischen Roman zu zweit übersetzt; das war auch der Anfang unserer Geschichte als Lebens-partner. Regina Peeters, die Seele dieses herrlichen Übersetzerhauses, wird sich vielleicht daran erinnern. Gemeinsam Raymond Queneaus „Stilübungen“ zu übersetzen, ist als Herausforderung, aber vor allem auch als Großvergnügen ein Privileg, einzigartig und unwiederholbar im Laufe eines Übersetzerlebens. Stellen Sie sich vor: zusammengezählt 60 Jahre Übersetzererfahrung saßen sich am Küchentisch gegenüber, wir spielten uns die Bälle zu, kriegten uns erstaunlich wenig in die Haare (in welche auch?) und ließen die Funken sprühen. Jede Minute dieser Arbeit hat uns erneut bestätigt, was wir schon wussten: dass es für uns keinen aufregenderen Beruf gibt als den des Literaturübersetzers.  Und so stellt der Straelener Übersetzerpreis der Kunststiftung NRW die unglaubliche Krönung eines Glücksprojekts dar. Für dieses Geschenk nochmals unseren herzlichsten Dank.

 

 

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Der Straelener Übersetzerpreis wird vergeben von der Kunststiftung NRW in Kooperation mit dem EÜK Straelen